1,1 Millionen Euro Förderung zur Etablierung von Verfahren zur kontinuierlichen Produktion viraler Vektoren für die Gentherapie

Datum
15.05.2020

Viren sind weltweit im Gespräch, als Krankheitserreger können sie - wie aktuell bei Covid 19 - für Menschen lebensbedrohlich sein. Aber Viren können uns auch helfen, zum Beispiel in der Gentherapie, um als Transport-Vehikel genetisches Material in geschädigten Körperzellen auszutauschen. Das ESF-EXIST-Projekt "ContiVir" hat sich zum Ziel gesetzt, noch offene Fragen dieser Herstellungsprozesse anzugehen und zwei neue Technologien zu kombinieren, die in der Forschungsgruppe Bioprozesstechnik am MPI Magdeburg entwickelt wurden.

Dr.-Ing. Felipe Tapia und Dr.-Ing. Pavel Marichal-Gallardo, Wissenschaftler der Forschungsgruppe Bioprozesstechnik am Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme Magdeburg, haben im Rahmen ihrer Promotion das erste vollständig kontinuierliche System entwickelt, um sogenannte virale Vektoren zu produzieren.

Laborinstrumente
Die ContiVir10 Kits mit Schlauchreaktor werden vom ContiVir-Team kostenfrei für Forschungsgruppen angeboten. © ContiVir/Pavel Marichal

Virale Vektoren werden als Transportmittel in großen Mengen für die Gentherapie benötigt. Hierbei schleust ein Virus fehlerfreie Gene in geschädigte Körperzellen eines Individuums ein, um so die fehlerhafte oder unkontrollierte Synthese (Expression) der genetischen Information eines schädigenden Gens zu verhindern. Dies findet zum Beispiel Anwendung in der Krebstherapie, aber auch bei weiteren, derzeit unheilbaren Krankheiten. Somit muss der Mediziner nicht mehr "selbst Hand anlegen". Gegenwärtig kostet eine Gentherapie pro Patient hunderttausende bis Millionen Euro. Dieser Preis hängt von verschiedenen Faktoren (nicht nur in der Herstellung) ab. Ein wichtiger Aspekt ist darin zu sehen, dass die derzeitigen Behandlungen für seltene Krankheiten mit einer kleinen Anzahl von Patienten hergestellt werden. Aus diesem Grund ist es so umso wichtiger, die Technologien für die Virusproduktion effizienter zu gestalten. Das nun entwickelte System beschleunigt die Prozesse um das Doppelte, ermöglicht eine zehnmal höhere Produktivität bei der Herstellung von Gentherapien und führt zu niedrigeren Kosten.

Es ist deshalb anzunehmen, dass sich die Nachfrage nach viralen Trägern für die Gentherapie zukünftig erhöhen wird. Die ersten Methoden für eine Gentherapie haben in Europa und in den USA in den vergangenen Jahren eine Marktzulassung erhalten und mehr als 1.000 Anwendungen befinden sich in der klinischen Phase. Die heutige Nachfrage an viralen Vektoren wird fünf Mal höher geschätzt als es derzeitige Herstellungsverfahren zulassen.

Ein wesentlicher Engpass für die Lieferung von viralen Vektoren liegt in den hohen Virustitern, die für die Therapie erforderlich sind. Der Titer ist der letzte Verdünnungswert einer Lösung, in der sich noch Viruspartikel nachweisen lassen. Zudem erschweren ineffiziente Produktionstechniken mit Batch-Technologien, also der chargenweisen Verarbeitung, die schnelle Herstellung und Aufreinigung.

Schlauchreaktor und chromatographische Aufreinigung kombiniert

Felipe Tapia entwickelte deshalb einen Schlauchreaktor, der kontinuierlich betrieben wird (Leitung: PD Dr. Yvonne Genzel, Teamleiterin für Upstream Processing). Dieser Bioreaktor ist das erste voll kontinuierliche System für die Produktion von Viruspartikeln und hat eine zwanzigmal kleinere Stellfläche als herkömmliche Systeme. Durch die kontinuierliche Betriebsweise ergibt sich eine höhere Produktivität als bei Batch-Kulturen, die mit größeren Volumina betrieben werden müssen. Zudem verbraucht die Herstellung weniger Energie bei geringerem Personalbedarf.

Die viralen Vektoren, die auf diese Weise produziert werden, werden anschließend mit einer neuartigen chromatographischen Trenntechnik (Steric Exclusion Chromatography, SXC) aufgereinigt.

Laborinstrument
Membran von ContiVir (Modell IV) für die neue Aufreinigungsmethode für Viruspartikel. ©  ContiVir/Pavel Marichal

Diese Methode mittels einer Membran wurde von Pavel Marichal-Gallardo entwickelt (Leitung: Prof. Dr. Michael Wolff, Team Downstream Processing, jetzt Technische Hochschule Mittelhessen, Gießen). Mit ihrer Hilfe kann eine Vielzahl verschiedener Viren mit hoher Ausbeute aufgereinigt und konzentriert werden. Das Verfahren ist leicht skalierbar, zudem werden kostengünstige Materialien eingesetzt.

Beide Technologien können zu einem voll kontinuierlichen Herstellungsprozess integriert werden und damit eine kostengünstige und schnelle Versorgung von Patienten mit viralen Vektoren für die Gentherapie ermöglichen. Diese Herstellungsplattform kann zudem dafür genutzt werden, virale Impfstoffe in größeren Mengen zu produzieren. Dies kann zum Beispiel bei Pandemien erforderlich sein, wie wir es etwa beim gegenwärtigen Ausbruch des Corona-Virus beobachten können.

Das Spin-Off-Projekt startete im Oktober 2019 und wird für zwei Jahre mit ca. 1,1 Mio. EUR gefördert, wobei ca. 70 % vom ESF-Bundesprogramm "EXIST", ca. 20 % aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und ca. 10 % von der Max-Planck-Gesellschaft stammen. Ziel von "EXIST" ist die Unterstützung bei der Firmenausgründung.

Das Team umfasst zwei Wissenschaftler, eine technische Assistentin und einen administrativen Mitarbeiter, der sich um das Business Development kümmert.

Das Projekt wird in den Laboren des Max-Planck-Instituts Magdeburg und der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Lehrstuhl für Bioprozesstechnik, durchgeführt.

Das ESF-Bundesprogramm "EXIST"

Ziel des "EXIST-Programms" ist die Verbesserung des Gründungsklimas an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Darüber hinaus sollen die Anzahl und der Erfolg technologieorientierter und wissensbasierter Unternehmensgründungen erhöht werden. "EXIST" ist das gleichnamige Nachfolgeprogramm der ESF-Förderperiode 2007-2013.

"EXIST" umfasst drei Förderprogrammlinien:

Mit "EXIST-Forschungstransfer" werden herausragende forschungsbasierte Gründungsvorhaben, die mit aufwändigen und risikoreichen Entwicklungsarbeiten verbunden sind, gefördert.

Mit "EXIST-Gründerstipendium" wird die Vorbereitung innovativer Existenzgründungen aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen, insbesondere die Erstellung eines tragfähigen Businessplans und die Entwicklung marktfähiger Produkte und Dienstleistungen, gefördert.

"EXIST-Gründungskultur" wird in Form eines Wettbewerbs "Die Gründerhochschule" durchgeführt. Ziel ist es, hochschulweite Gesamtstrategien zu entwickeln und diese umzusetzen, um eine Gründungskultur und mehr Unternehmergeist an Hochschulen zu etablieren.

Im November 2018 ist mit der Richtlinie "EXIST-Potentiale" eine neue Wettbewerbsrunde in "EXIST-Gründungskultur" gestartet. "EXIST-Potentiale" wird ausschließlich vom Bund gefördert.

Auszug aus dem ESF-Newsletter