IQ Projekt Faire Integration hilft Migrant*innen, sich gegen unfaire Arbeitsbedingungen zu wehren
- Datum
- 02.07.2020
Das IQ-Projekt "Faire Integration" ist ein ESF-gefördertes Angebot für Geflüchtete, das diese in arbeits- und sozialrechtlichen Fragestellungen berät. Inzwischen sind die Beratungsstellen von "Faire Integration" in allen 16 Bundesländern an insgesamt 23 Standorten zu finden. Sie bieten ihre Unterstützung in zehn Sprachen, darunter Arabisch, Dari und Tigrinja, Russisch und Spanisch an. Seit Anfang 2019 werden auch Drittstaatsangehörige, die nicht aus dem EU-Ausland kommen, beraten.
Die Bundesregierung strebt an, eine durch eine Willkommenskultur gekennzeichnete Migrationspolitik zu etablieren, denn Hilfe für Geflüchtete ist eine humanitäre Selbstverständlichkeit. Die Arbeitsmigration soll eine auf lange Sicht angelegte win-win-Entwicklung für alle sein.
Arbeitnehmer*innen mit Flucht- und Migrationserfahrung arbeiten aber sehr oft im Niedriglohnbereich und verdienen deutlich weniger als andere Arbeitnehmer*innen. Ihre starke Motivation, ein neues, sicheres Leben in Deutschland aufzubauen, ihre schwierige finanzielle Lage, ein häufig nicht gefestigter Aufenthaltsstatus sowie fehlende Sprach- und Rechtskenntnisse werden nicht selten ausgenutzt. Um dieser negativen Entwicklung nach dem rasanten Anstieg der Migrationsströme nach Deutschland in den Jahren 2015-2017 entgegenzuwirken, wurde Ende 2017 im ESF-Förderprogramm "Integration durch Qualifizierung (IQ)" das Projekt "Faire Integration" ins Leben gerufen.
Ratsuchende können sich bereits von ihren Herkunftsländern aus an "Faire Integration" wenden, um sich präventiv über die Arbeits-und Lebensbedingungen in Deutschland zu informieren. Dazu gehören die Themen Integration, Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis sowie arbeits- und sozialrechtliche Fragen in Bezug auf Lohn, Arbeitszeit, Urlaub, Kündigung und Krankenversicherung.
In den einzelnen Bundesländern sind unterschiedliche Träger für die Umsetzung verantwortlich. "Faire Integration" wird durch das DGB Bildungswerk BUND (Support Faire Integration) inhaltlich unterstützt und begleitet. Diese Institution ist auch für die Entwicklung eines gemeinsamen Beratungsprofils und des Informationsmaterials für das "Faire Integration" - Team verantwortlich. Die Beratungsstellen sind den IQ Landesnetzwerken zugeordnet und werden durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und den Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert.
Wie die folgenden Zahlen zeigen, kommt die Dienstleitung des Projekts bei den Ratsuchenden offensichtlich sehr gut an. Im Zeitraum November 2017 bis Jahresende 2018 wurden insgesamt 1.302 Beratungen dokumentiert, davon 872 Erstberatungen und 430 Folgeberatungen. Ab Januar 2019 ging das Projekt in die zweite Förderrunde. Bis Dezember 2019 wurden insgesamt 4.913 Beratungen gezählt, davon 3.507 Erst- und 1.406 Folgeberatungen.
Nach vorläufigen Zahlen fanden allein im ersten Quartal 2020 mehr als 2.000 Beratungen statt. Die TOP-Beratungsthemen waren bis März 2020 vor allem Kündigung, Entgelt, Arbeitsvertrag, Urlaub und Arbeitszeit. 75 Prozent der Ratsuchenden sind Männer. Fast 60 Prozent der Kund*innen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt; meistens im Hotel- und Gaststättengewerbe, in den Bereichen Logistik, Verkehr, Reinigung - oft im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung. Die meisten Ratsuchenden stammen aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, Iran und Irak oder aus der Ukraine und der Türkei.

Seit Mitte März 2020 ist die Beratung in "Faire Integration" gefragter denn je. In Zeiten der Corona-Pandemie drehen sich die Anfragen vermehrt um die Themen Kündigung, Aufhebungsvertrag, Kurzarbeit und Kurzarbeitergeld. Üblicherweise werden die Ratsuchenden in ihrem Wohnbundesland beraten. Diese Regionalität der Beratung wurde seit Beginn der Krise zeitlich befristet aufgehoben. Das bedeutet, dass Ratsuchende unabhängig davon, in welcher Region Deutschlands sie wohnen, ihre Fragen telefonisch an die Berater*innen stellen, die sie dann in ihrer Herkunftssprache beraten können. Die Möglichkeit der bundesweiten Erstauskunft wurde im Juni bis Ende des Jahres verlängert.
Die aktuelle Entwicklung zeigt neue Entwicklungsfelder für das Projekt auf. Hierzu gehören die aufsuchende Beratung in den sozialen Medien, Aufklärungsvideos für Online-Plattformen und die Zusammenarbeit mit anderen IQ-Projekten wie zum Beispiel im Bereich der Anerkennung oder mit den DGB-Gewerkschaften.
Die Folgen der aktuellen Corona-Krise sind noch nicht abzusehen. Der Arbeitsalltag hat sich jedoch bereits massiv geändert. Die Arbeitszeithandhabung wird gelockert, die Hygienekonzepte und die Sorge um das Fortbestehen von Unternehmen sind allgegenwärtig. Unverändert sind es weiterhin vor allem Beschäftigte mit Flucht- und Migrationshintergrund, die es besonders hart trifft. Sie sind deutlich häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als andere Arbeitnehmer*innen. Sie werden von heute auf morgen ohne Grund gekündigt. Ihnen werden Aufhebungsverträge als angebliche Ergänzungen zu den Arbeitsverträgen in Krisenzeiten zum Unterzeichnen vorgelegt.
Einige Arbeitgeber*innen vergessen, das Kurzarbeitergeld für diese Arbeitnehmer*innen zu beantragen oder auszuzahlen. Sie scheinen ebenso oft die spezifische Lage der Gruppe bei Gefährdungsbeurteilungen und bei Hygienekonzept-Unterweisungen nicht zu berücksichtigen. Andere ergänzen einseitig die Arbeitsverträge mit Klauseln, um anschließend vermeintliche Vertragsstrafen mit dem verdienten Lohn aufzurechnen. Wieder andere wollen Arbeitnehmer*innen mit Flucht- und Migrationshintergrund als unbezahlte Praktikant*innen zum Zweck der Berufsorientierung für Tätigkeiten wie Erntehelfer einstellen.
Die Erfahrung aus dem Projekt zeigt jedoch, dass die Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund sehr erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt sind und sich ebenfalls erfolgreich gegen unfaire Arbeitsbedingungen wehren können und dies auch tun wollen. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn sie ihre Rechte und Pflichten kennen und über die eigenen Handlungsräume rechtzeitig aufgeklärt werden.
Weitere Informationen zum Beratungsprojekt Faire Integration stehen auf der Projekt-Website.
Das Förderprogramm "Integration durch Qualifizierung (IQ)"
Das Förderprogramm "Integration durch Qualifizierung (IQ)" arbeitet seit 2005 an der Zielsetzung, die Arbeitsmarktchancen für Menschen mit Migrationshintergrund zu verbessern. Von zentralem Interesse ist, dass im Ausland erworbene Berufsabschlüsse - unabhängig vom Aufenthaltstitel - häufiger in eine bildungsadäquate Beschäftigung münden.
Das in allen 16 Bundesländern mit etwa 330 Teilprojekten aktive Förderprogramm IQ hat sich in den vergangenen Jahren als wichtige Adresse für Zugewanderte und Geflüchtete erwiesen, die eine Arbeitsmarktintegration anstreben. Es wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und den Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert. Partner in der Umsetzung sind das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Bundesagentur für Arbeit (BA).
Weitere Informationen zum Förderprogramm "Integration durch Qualifizierung (IQ)" stehen auf dem ESF-Portal sowie auf der Website des Programms.