Prospektive digitale Arbeitsgestaltung für KMU: Das Forschungsprojekt ProdiKA

Datum
13.08.2020

Während Großunternehmen mit ihren Ressourcen umfassender auf die Potenziale und Risiken der Digitalisierung reagieren können, fällt es dem für die deutsche Wirtschaft wichtigen Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) schwerer, digitale Transformationsprozesse anzustoßen und umzusetzen. Hier setzt das ESF-geförderte Forschungsprojekt "Prospektive digitale Arbeitsgestaltung" (ProdiKA) an. Gemeinsam mit fünf KMU werden maßgeschneiderte und einfach umzusetzende arbeitsorganisatorische und technologische Lösungen entwickelt, die Zukunftsfähigkeit von KMU im digitalen Wandel auszubauen.

Digitalisierung erleichtert und beschleunigt neue Möglichkeiten der Informationserzeugung und -analyse sowie des Daten- und Wissensaustauschs. Sie kann zudem zu neuen Formen der Kooperation und Kollaboration innerhalb und zwischen Unternehmen und Netzwerken beitragen. Gerade KMU verfügen über eine große Nähe zwischen Management und Shopfloor und damit über einschlägiges Erfahrungswissen im direkten innerbetrieblichen Austausch, Aufbau persönlicher Geschäftsbeziehungen und Entwicklung passgenauer, individueller und innovativer Lösungen. Dies macht ihre bekannte Flexibilität als "Schnellboote" im Vergleich zu den großen "Tankern" aus und diese Stärken gilt es, im digitalen Wandel zu bewahren.

Insbesondere KMU müssen den digitalen Wandel (Industrie 4.0) so gestalten, dass Prozesse bedarfsgerecht und niederschwellig angepasst werden und ihre Mitarbeiter*innen unter den veränderten Anforderungen weiterhin gut arbeiten können. Es geht also darum, die Stärken von KMU durch niedrigschwellige und bedarfsgerechte Lösungen mit Blick auf ihr zukünftiges Handeln zu fördern bzw. KMU strukturell zukunftsfähig aufzustellen. Eine prospektive digitale Arbeitsgestaltung schafft hierfür neuartige, vorausschauende Strukturen, mit denen KMU fließend in die Anforderungen der Digitalisierung hineinwachsen und dabei ihre Stärken bewahren und ausspielen können.

Schaubild Arbeitsorganisation
Prospektive Arbeitsorganisation © ISF München

Auf Grundlage von partizipativen Methoden werden digitale Medien und Werkzeuge praxisorientiert und bedarfsgerecht entwickelt, um- und eingesetzt sowie lernförderliche Arbeitsstrukturen geschaffen, um prospektive und digitale Kompetenzen für die Betriebe und die Beschäftigten zu erlangen. Die Entwicklung und exemplarische Umsetzung findet entlang von sechs Beispielumsetzungen in drei Anwendungsfeldern statt:

  1. Digitaler Informationsfluss für Arbeitsprozesse in der Elektronikbranche
  2. Cloudbasiertes Personalmanagement bei mobilen, ortsunabhängigen Arbeitsplätzen in der Produktion
  3. Geschäftsmodellentwicklung für Anleitungs- und Wartungsservices in der Regelungs- und Systemtechnik.

Durch Arbeitsplatzbeobachtungen, Experteninterviews und Workshops werden übergreifende Erfolgsfaktoren identifiziert, Empfehlungen für eine prospektive digitale Arbeitsgestaltung abgeleitet und prototypisch in den Unternehmen validiert. Hieraus werden praxisnahe Leitfäden, Einführungsszenarien, Best-Practice-Beispiele sowie ein Atlas mit spezifischen "Industrie 4.0-Kompetenzen" für KMU erarbeitet. Durch generalisierte, niederschwellige Praxisempfehlungen wird der Ansatz im Anschluss interessierten Unternehmen zugänglich gemacht.

Schaubild Arbeitsgestaltung
Ziele und Merkmale prospektiver digitaler Arbeitsgestaltung © ISF München

Als eine zentrale Technologie für prospektive Arbeitsgestaltung wurden im Projekt zum Beispiel webbasierte Ticketsysteme identifiziert. Die Stärke dieser Ticketsysteme liegt in ihrer einfachen und flexiblen Umsetzungs- und Anwendungsweise. Sie erlauben angepasste arbeitsorganisatorische und technologische Lösungen für eine Vielzahl unterschiedlicher Herausforderungen prospektiven und ereignisbasierten Arbeitens.

screenshot Ticketsystem
Prototyp eines webbasierten Ticketsystems © Syslog GmbH

Im Projekt "ProdiKA" werden daher u.a. prototypisch die Potenziale einer dezentralen und ereignisbasierten formalen Arbeits- und Prozesssteuerung (im Sinne von Industrie 4.0) aufgegriffen und durch eine aktive Rolle der Beschäftigten in der Koordination (im Sinne von Arbeiten 4.0) angereichert und ergänzt. Auf diese Weise werden Web-Ticketsysteme für Beschäftigte zu einem Kommunikations- und Prozessteuerungsinstrument "von unten". So soll es für Beschäftigte in der Produktion möglich sein, ohne großen Aufwand im Arbeitsprozess Fotos, Videos oder Sprach- und Textnachrichten an Tickets anzuhängen, um so eigenständig "von unten" Folgeprozesse anzustoßen - zum Beispiel um Auffälligkeiten oder Lösungen zu dokumentieren und zu melden, Hilfe anzufordern oder anderweitige Ereignisse wie Besprechungen und Auswertungen anzustoßen.

In einem weiteren Szenario prospektiven Arbeitens sollen mit Hilfe von webbasierten Ticketsystemen Beschäftigte im Service in die Lage versetzt werden, bei Kundeneinsätzen ein um Bilder oder Videos ergänztes Ticket an das eigene Unternehmen zu senden. Dies ermöglicht es, den bisherigen Prozessverlauf inklusive hinterlegter Dokumente direkt nachzuvollziehen, von Dokumentation zu entlasten und Probleme schnell zu lösen. In beiden Fällen ist das Resultat ein ereignisbasierter, mitarbeitergetriebener Wissensmanagementprozess zur Förderung vorausschauenden Arbeitens.

Das Forschungsprojekt "ProdiKA" wird vom ISF München koordiniert und vom ERP-Softwareentwickler Syslog begleitet. Die Laufzeit des dreijährigen Projekts endet im August 2021. Aktuelle Informationen zu Veranstaltungen, Vorträgen und Ergebnissen finden sich auf der Projekt-Homepage.

"ProdiKA" wird im Rahmen des Programms "Zukunft der Arbeit" vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut. Das Programm greift die Herausforderungen auf, die für Unternehmen (insbesondere KMU) und Menschen durch Strukturwandel, Technisierung und zunehmende Globalisierung in der Arbeitswelt entstehen und lädt Unternehmen und Forschungseinrichtungen ein, mit innovativen Forschungsprojekten aktiv die Zukunft unserer Arbeitswelt mitzugestalten. Ziel des Programms ist es, technologische und soziale Innovationen gleichermaßen voranzubringen. Dazu sollen neue Modelle der Qualifizierung, der Gesundheitsprävention, der Arbeitsgestaltung und -organisation in und mit Unternehmen entwickelt und als Pilotprojekte in die betriebliche Praxis überführt werden. Dabei liegt der Fokus besonders auf branchenübergreifenden und interdisziplinären Projekten.

Weiterführende Informationen zum Programm "Zukunft der Arbeit" finden Sie auf dem ESF-Webportal sowie auf der Programmwebsite des BMBF.

Auszug aus dem ESF-Newsletter