Sicherer arbeiten mit dem ESF
- Datum
- 15.09.2020
Baustellen sind Arbeitsplätze mit einem hohen Unfallrisiko. Deswegen ist jeder Schritt, die Arbeitssicherheit auf Baustellen zu verbessern, eine sinnvolle Investition. Die zunehmende Digitalisierung kann hier einen wesentlichen Beitrag leisten. Das Ziel ist: "Null Unfälle auf Baustellen".
Jeder Arbeitsunfall ist einer zu viel.
Abstürze aus größeren Höhen, Unfälle mit Maschinen oder der unsachgemäße Umgang mit Maschinen sind besondere Unfallrisiken auf Baustellen, die zu den "normalen" Unfallrisiken bei der Arbeit noch hinzukommen. Mehr als 100.000 Arbeitsunfälle auf deutschen Baustellen jährlich sprechen leider immer noch eine deutliche Sprache.
Hier setzt das ESF-geförderte Projekt "DigiRAB" an. "In "DigiRAB" haben wir digitale Lösungen gefunden, um dieses hohe Unfallrisiko im Baugewerbe signifikant zu reduzieren", bilanziert Projektleiter Prof. Dr. Jochen Teizer vom federführenden Lehrstuhl für Informatik im Bauwesen an der Ruhr-Universität Bochum (RUB). In den drei Handlungsbereichen "Sicher Planen", "Proaktiv Warnen" und "Personalisiert Lernen und Schulen" hat "DigiRAB" die neuen Möglichkeiten aus der zunehmenden Digitalisierung der Bauprozesse gezielt genutzt, um den Arbeitsschutz am Bau systematisch zu verbessern. So entstand eine Cloud-basierte digitale Plattform für die kollaborative Planung, Schulung und Steuerung des Arbeitsschutzes auf Baustellen.
Entwicklung eines Assistenzsystems
Nach dreijähriger Projektlaufzeit konnte ein Assistenzsystem für die Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinatoren der Baubranche entwickelt werden. Bei dem Assistenzsystem geht es um die digitale Planung zur Gefahrenprävention, das automatisierte Warnen, Melden und Auswerten von Beinahe-Unfällen in Echtzeit sowie personalisierte VR (Virtuelle Realität)-Anwendungen, die realitätsnahe Sicherheitsschulungen kombinieren und integrieren. Ziel ist der bestmögliche Schutz der Arbeiter*innen auf den Baustellen.
Um den Einsatz des Assistenzsystems möglichst weit zu verbreiten und damit die Arbeitssicherheit kontinuierlich zu verbessern, wurde auf bereits realisierte Anwendungen zugegriffen wie z.B. Building Information Modeling (BIM) und LEAN Construction. BIM ist ein Prozess, bei dem mit Hilfe eines 3D-Modell u.a. auch die notwendige Dokumentverwaltung, Koordinierung und Simulation während des gesamten Lebenszyklus eines Projekts (Planung, Entwurf, Bau, Betrieb und Wartung) realisiert werden kann. Unter LEAN Construction versteht man einen aus der Automobilproduktion übernommenen kontinuierlichen Prozess für die effektive Erstellung eines Bauwerks von der Planung über die Bauausführung und Nutzung bis zum möglichen Rückbau.
Was heißt das konkret?

1. BIM-Werkzeuge für sichere Bauabwicklung
Um BIM-Inhalte für eine sichere Bauabwicklung als Entscheidungsgrundlage für die Baubeteiligten zu erzeugen, sind digitale Werkzeuge entwickelt worden: Zum einen ein neuer Rule-Checking-Algorithmus, der bestehende BIM-Modelle analysiert und den Nutzer*innen regelbasiert Vorschläge für nötige Arbeitsschutzmaßnahmen (z.B. Absturzsicherungen) unterbreitet. Zum anderen sind es ein teilautomatisch erstellter "4D-Sicherheits- und Gesundheitsschutz (SiGe)-Plan" inklusive digitaler Gefährdungsbeurteilung sowie die aus beiden Neuerungen abgeleitete Weiterentwicklung der Baustelleneinrichtungsplanung. Die neuen Werkzeuge wurden als Erweiterungen in die BIM-Management-Software DESITE MD von thinkproject implementiert, die im Projekt als Basis und verbindende Klammer für alle drei DigiRAB-Handlungsbereiche genutzt wurde.
Zur Verbesserung des Arbeitsschutzes im Baustellen-Betrieb ist im Forschungsprojekt ein digitales Warnsystem mit RFID-Technik (HB 2) auf Basis des mobilen Person Detection Systems (PDS) von Selectronic entwickelt worden. Die Sensoren an den Baumaschinen erzeugen dabei ein rundes Signalfeld mit drei frei konfigurierbaren Näherungszonen, das mit den Personen-Sendern des Baustellen-Personals interagiert und die Beteiligten im Gefahrenfall optisch und akustisch warnt. Über eine Schnittstelle des Projektpartners Topcon werden die Daten der gefährdungsrelevanten Ereignisse in Echtzeit erfasst, um die Geoposition ergänzt und zur Dokumentation und Analyse über eine Cloud-Lösung mit der BIM-Software verknüpft.
2. Proaktive Warntechnologie (Magnetfeld):
Falls dann auf der Baustelle dennoch eine Gefahr droht, wird die betreffende Person oder z. B. der Maschinenführer rechtzeitig mittels proaktiver Assistenztechnologie gewarnt. Auch können Daten zu Beinahe-Unfällen gesammelt und ausgewertet werden, beispielsweise wenn eine Baumaschine zu nahe bei einer*m fußläufigen Arbeiter*in steht.
3. VR-Simulationen zeigen Gefahren realitätsnah auf
Die bislang eher theorielastige Arbeitssicherheitsausbildung wird auf diese Weise aufgewertet durch eigens entwickelte VR- und AV- (Augmented Virtuality) Simulationen, gesteuert über echte Handwerkzeuge (z.B. Winkelschleifer). Dadurch wird den Anwender*innen eine realitätsgerechte aktive Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand ermöglicht und Gefahren und Risiken sowie die Konsequenzen einer Fehlbedienung wirklichkeitsnah veranschaulicht. Damit wird die Palette der Schulungsmöglichkeiten künftig spürbar erweitert: Der sichere Umgang mit Baumaschinen und handgeführten Geräten lässt sich in der neuen virtuellen Lehrumgebung nun auch abseits der Baustelle risikolos und zuverlässig erlernen.

Zum Verbundforschungsprojekt "DigiRAB"
Das Verbundforschungsprojekt "DigiRAB - Sicheres Arbeiten auf der digitalisierten Baustelle" wird seit April 2017 federführend koordiniert durch die Ruhr-Universität Bochum (RUB) in Zusammenarbeit mit den Projektpartnern ZÜBLIN, Topcon, thinkproject und Selectronic. Im Rahmen des Forschungsprogramms "Zukunft der Arbeit" wurde "DigiRAB" vom Europäischen Sozialfonds (ESF) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Die Berufsgenossenschaft (BG) Bau und der Baustellen-Dienstleister HILTI waren als assoziierte Partner in das Projekt eingebunden.
Kontakt:
DigiRAB Projektleitung
Prof. Dr. Jochen Teizer
Tel. 0157-5476-9592
jochen@teizer.de
Das ESF-Bundesprogramm "Zukunft der Arbeit"
Das ESF-Bundesprogramm "Zukunft der Arbeit" greift die Herausforderungen auf, die für Unternehmen (insbesondere KMU) und Menschen durch den Strukturwandel, Technisierung und zunehmende Globalisierung in der Arbeitswelt entstehen und lädt Unternehmen und Forschungseinrichtungen ein, mit innovativen Forschungsprojekten aktiv die Zukunft unserer Arbeitswelt mitzugestalten. Das Ziel des Programms ist, technologische und soziale Innovationen gleichermaßen voranzubringen. Dazu sollen neue Modelle der Qualifizierung, der Gesundheitsprävention, der Arbeitsgestaltung und -organisation in und mit Unternehmen entwickelt und pilothaft in die betriebliche Praxis überführt werden. Dabei liegt der Fokus besonders auf branchenübergreifenden und interdisziplinären Projekten.
"Zukunft der Arbeit" ist das Nachfolgeprogramm von "Arbeiten - Lernen - Kompetenzen entwickeln; Innovationsfähigkeit in einer modernen Arbeitswelt" aus der ESF-Förderperiode 2007-2013.
Weiterführende Informationen zum Programm "Zukunft der Arbeit" finden Sie auf dem ESF-Webportal sowie auf der Programmwebsite.