Selbstorganisation - eine Frage der Haltung
- Datum
- 11.02.2021
Auch in der Sozialwirtschaft werden in den meisten Unternehmen Entscheidungen häufig von oben nach unten getroffen. Das vorherrschende Organisationsprinzip ist hierarchisch. Demgegenüber setzen agile Organisationsformen auf das Prinzip der Selbstorganisation und Eigenverantwortlichkeit. Hier zählen Wissen und Erfahrung jeder Person mehr als ihr formaler Rang im Organisationsgefüge. Selbstorganisierte Teams entwickeln etwa eigenständig Lösungen für Fragestellungen und Probleme im eigenen Arbeitsumfeld, für Arbeitsprozesse und -abläufe, ohne für diese das "OK" der Führungsebene einholen zu müssen.
Immer mehr Unternehmen der Sozialwirtschaft setzen inzwischen auf weniger Hierarchie. Stattdessen zählen mehr Flexibilität und Eigenverantwortlichkeit in der Zusammenarbeit, u.a. mit dem Ziel, attraktivere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Das wirkt nicht nur nach innen, sondern auch nach außen, denn so entsteht automatisch ein weiterer Ansatzpunkt, um dem andauernden Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Auch das ESF-Programm "rückenwind+" hat das Thema bereits 2018 im Rahmen der Transfertagung "Organisationen nachhaltig verändern - Soziale Unternehmen in die Zukunft führen" aufgegriffen. Erkennbar werden vergleichbare Ansätze der Organisationsentwicklung im Förderprogramm zunehmend auch unter dem Themenschwerpunkt "Digitalisierung & Arbeit 4.0". Wie aber kann ein "Mehr" an Selbstorganisation im Team, in der eigenen Organisation gelingen? Wie kann Eigenverantwortung gefördert werden und wo liegen Grenzen?
Der Caritasverband Arnsberg-Sundern und der Caritasverband für die Erzdiözese Freiburg erproben in ihren "rückenwind+"-Projekten " Multivitamin - selbstorganisiert und motiviert im Caritasverband Arnsberg-Sundern " und " Organisationen neu gestalten: Selbstorganisiert + Motiviert! " bereits seit Juli 2019 die Umsetzung selbstorganisierter Teamarbeit und agiler Arbeitsweisen. Und nicht nur das. Seit Dezember 2020 betreiben die beiden Caritasverbände unter www.selbstorganisiert-motiviert.de eine gemeinsame Website zum Thema.
Andrea Kobialka ist Referentin Personalpolitik beim Caritasverband für die Erzdiözese Freiburg e.V. und leitet dort das "rückenwind+"-Projekt "Organisationen neu gestalten". Thomas Kellermann ist Leiter der Stabsstelle Personal- & Organisationsentwicklung im Caritasverband Arnsberg Sundern und Projektleiter des "rückenwind+"-Projekts "Multivitamin - selbstorganisiert und motiviert", in dem Kerstin Breuer als Projektreferentin tätig ist.
Die ESF-Regiestelle hat die drei zu ihren Erfahrungen mit dem Thema "Selbstorganisation" interviewt.
Frau Kobialka, Frau Breuer, Herr Kellermann, spätestens seit dem Bestseller "Reinventing Organizations" des belgischen Unternehmensberaters Frederic Laloux und dem Erfolg der niederländischen Pflegeorganisation "Buurtzorg", die in selbstorganisierten Teams arbeitet, sind die Begriffe "Selbstorganisation" und "Agilität" auch in der Sozialwirtschaft in aller Munde. Was bedeutet "selbstorganisierte Teamarbeit" für Sie?
Kellermann: Für mich geht es im Kern darum, konsequent den Rahmen zu erweitern, in dem Mitarbeiter*innen und Teams eigenverantwortlich planen, handeln und entscheiden können. Und das in einer zugewandten und aufeinander bezogenen Haltung - wertschätzend, co-kreativ und auf Augenhöhe. Zudem gilt es, Strukturen, Abläufe und auch das Verhalten von Führung so zu gestalten und auszurichten, dass die einzelnen Teammitglieder ihre Potenziale optimal entfalten können. Selbstorganisation stellt die Mechanismen der klassischen Linienstruktur somit in Frage und bedient sich eines neuen Selbst- und Rollenverständnisses von Führung.
Wie kann das gelingen?
Breuer: Teams, die nach den Prinzipien der Selbstorganisation arbeiten, richten ihren Fokus auf den gemeinsamen Erfolg und orientieren sich konsequent am Bedarf der Kunden. Es existiert ein gemeinsames "Wofür", ein "rotes Feuer". Zudem geht es in selbstorganisierten Teams nicht um Macht, sondern um Rollen, Fähigkeiten, Kompetenzen und Wissen. Wer kann also welchen Beitrag zum Gesamtergebnis leisten, und was wird dazu benötigt?
Welche Voraussetzungen müssen dafür gegeben sein?
Kobialka: Selbstorganisation hat für mich drei wichtige Komponenten: Das gemeinsame Ziel, die Rolle der Führungskräfte und die Wirksamkeit jedes einzelnen. Grundlage für das Handeln der selbstorganisierten Teams ist erstens die Vereinbarung eines gemeinsamen Ziels. Danach richten sich das Handeln und die Entscheidungen aller Beteiligten.
Die Führungskraft sorgt dafür, dass zweitens der Rahmen hierfür geschaffen wird. Hierfür muss auch vereinbart werden, wer welche Entscheidungen treffen darf.
Und dann ist drittens die Selbstverantwortung jedes einzelnen wichtig: Was kann jeder mit den eigenen Kompetenzen und Stärken dazu beitragen, das Ziel zu erreichen?!
Elementare Grundlage dafür ist die Haltung: Führungskräfte müssen loslassen und Entscheidungsvollmacht aus der Hand geben. Gleichzeitig müssen die Teammitglieder befähigt werden, Entscheidungen zu treffen und auszuhandeln, auch dann, wenn es schwierig wird. Agile Methoden können dabei helfen, die Strukturen zu klären, Besprechungen zu strukturieren und das Arbeiten auf Augenhöhe zu fördern.
Warum schien die Erprobung selbstorganisierter(er) Arbeitsweisen in Ihren Verbänden ein sinnvoller Schritt zu sein? Auf welche Bedarfe wollten Sie reagieren?
Kobialka: Wir haben im Caritasverband für die Erzdiözese Freiburg von 2016 bis 2019 ein " rückenwind+ "-Projekt zum Thema "Unternehmens- und Führungskultur" durchgeführt und dabei festgestellt, dass eine gute Führung die Kompetenzen der einzelnen Mitarbeitenden wahrnimmt, Entscheidungsfreiheit zulässt und die Teams stärkt. Es wurde deutlich, dass viele Unternehmen der Caritas Lust haben, neue Führungsstrukturen zu entwickeln, Verantwortung auf die Mitarbeitenden-Ebene zu geben und gemeinsam Ziele zu erreichen. Auch vor dem Hintergrund, dass Führungskräfte insbesondere auf der mittleren Ebene häufig am Rande der Belastbarkeit sind und ein neues Führungsverständnis erforderlich ist, um dieser Herausforderung zu begegnen.
Herausforderungen, die sich im Zuge der Covid-19-Pandemie sicherlich noch verschärft haben…
Kellermann: Die Anforderungen an die Menschen im Verband erfordern nicht erst seit "Corona" den Umgang mit Komplexität, Unsicherheit und Unbeständigkeit. Beispiele gibt es genügend: Verdichtung der Leistungserbringung, anhaltender Fachkräftemangel, Veränderungsdruck in der Behindertenhilfe durch das veränderte BTHG (Bundesteilhabegesetz), hohe Personalfluktuation im lokalen Altenhilfemarkt und dadurch oft wechselnde Teamgefüge - die Liste ließe sich fast unbegrenzt erweitern. Es braucht Mitarbeiter*innen und ganze Teams, die flexibel auf die sich ändernden Gegebenheiten reagieren können und dabei nicht den Halt verlieren. Eine auf den Prinzipien der Selbstorganisation basierende Führung und Zusammenarbeit kann hier viel bewirken - davon sind wir überzeugt.
Breuer: Zudem haben auch wir im Caritasverband Arnsberg-Sundern von 2016-2019 ebenfalls bereits ein "rückenwind+"-Projekt durchgeführt, in dem wir uns mit dem Thema "Lebensphasenorientierung" in der Führung und Organisationsentwicklung beschäftigt haben. In diesem Prozess hat sich das Zielbild einer sinnstiftenden Unternehmenskultur herausgebildet, an der wir kontinuierlich und nachhaltig weiterarbeiten wollen. Sich jetzt dem Thema "Selbstorganisation" zu nähern, war also ein fast logischer, "organischer" nächster Schritt.
Wie haben Sie diesen Schritt praktisch umgesetzt?
Breuer: Einen wesentlichen Teil des "rückenwind+"-Projekts " Multivitamin " macht das Experimentieren in den sogenannten Piloten aus - den "Laboren". Das sind im Caritasverband Arnsberg-Sundern konkret derzeit acht Arbeitsteams in unterschiedlichen Einrichtungen des Verbands. Das jeweilige Team verfolgt miteinander das Ziel, mit selbstorganisierten Arbeitsweisen zu experimentieren und gemeinsame Lernerfahrungen beispielsweise mit Selbststeuerung und Gestaltungsfreiheit zu machen. In den acht Teams sind insgesamt über hundert Mitarbeiter*innen involviert.
Kellermann: Insgesamt wollen wir den kulturellen Wandel hin zu mehr Selbstorganisation in unserem Verband fördern und vorantreiben. Mit dem "rückenwind+"-Projekt haben wir die Möglichkeit, uns sehr intensiv mit den Prinzipien von Selbstorganisation auseinanderzusetzen und so einen echten organisationalen Wandel voranzutreiben - quasi eine Art "Tiefenbohrung" vorzunehmen. Daher bringen wir neben den Teams in den Piloten auch weitere Ebenen der Organisation mit Selbstorganisation in Kontakt. Das sind zum einen die Führungskräfte, mit denen wir die eigene Führungshaltung im Kontext einer selbstorganisierten Unternehmenskultur reflektieren und an einem gemeinsamen Mindset arbeiten. Zum anderen wollen wir weitere zwanzig Mitarbeiter*innen gewinnen und weiterentwickeln, die Lust auf die Mitgestaltung des innerverbandlichen Kulturwandels haben. Wir nennen sie derzeit Kulturbotschafter*innen (mehr Infos hier).
Frau Kobialka, als großer Diözesanverband mit zahlreichen Mitgliedseinrichtungen haben Sie sich eher "in die Fläche orientiert", als eine "Tiefenbohrung" wie in Arnsberg-Sundern vorzunehmen. Wie sind Sie in Freiburg vorgegangen?
Kobialka: Richtig. Wir sind ein Spitzenverband und in dieser Rolle unterstützen wir sehr unterschiedliche Mitgliedseinrichtungen bei der Umsetzung von Selbstorganisation. Gleichzeitig fördern wir damit das Bewusstsein für neue Führungsanforderungen verbandsweit. Die insgesamt neun Projektstandorte in " Organisationen neu gestalten " implementieren jeweils ein bis drei selbstorganisierte Teams, u.a. im Bereich der Jugendhilfe, Behindertenhilfe, Altenhilfe oder Sozialberatung.
Hier gibt es kein Rezept, das für alle gilt, sondern jede Einrichtung muss einen eigenen Weg finden, wie der Wandel gelingen kann. Daher erhalten die Teams, aber auch die Geschäftsführungen, jeweils individuelle Coachings und themenbezogene Workshops, etwa zu Kommunikation oder Rollenfindung - direkt vor Ort oder derzeit vor allem per Videokonferenz. Gleichzeitig bieten wir durch gemeinsame Fortbildungen oder Netzwerktreffen die Möglichkeit, sich gemeinsam zu beraten, in den Austausch zu gehen und Impulse zu diskutieren.
Auf welche Herausforderungen sind Sie gestoßen?
Kobialka: Es braucht ein großes Vertrauen zwischen den Führungskräften und den Mitarbeitenden, eine klare Kommunikationsstruktur und gute Instrumente, um die erforderlichen Abstimmungen nicht ins Unendliche gehen zu lassen. Auch die Haltung und die Rolle von allen Beteiligten müssen geklärt sein. Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit der Zusammenarbeit im Team und mit der eigenen Person und fördert auch so manchen schwelenden Konflikt an die Oberfläche. Wir merken, dass eine gute Vorarbeit und Grundlage erforderlich sind, um Selbstorganisation wirklich umzusetzen. Hieran arbeiten wir derzeit in den Teams.
Also ein echter "kultureller Wandel", wie ihn Herr Kellermann gerade schon angesprochen hat…
Breuer: Auf jeden Fall. Führungskräfte müssen z. B. mehr ins Vertrauen und Zutrauen gehen, müssen "loslassen" können. Und trotzdem müssen sie da sein. Da sein wollen. Unterstützen, wenn es Unterstützung braucht, aber nicht mit fertigen Lösungen, sondern bezogen auf den Prozess - individuell wie auch im Team. Das ist schon herausfordernd. Uns begegnet immer mal wieder, dass Führungskräfte Reflexe der "klassischen Kontrolle" oder der "schnellen Lösungsproduktion" zeigen. Das ist oftmals auch verständlich bei dem hohen Alltagsdruck, aber das kann halt den Entwicklungsprozess im Team auch blockieren.
Kellermann: Unsere Idee ist es, Kultur weiterzuentwickeln. Also standen wir vor der großen Frage und Herausforderung: Was können sinnhafte Maßnahmen sein, um diesen Prozess und somit eine organisationale Durchdringung zu unterstützen? Wir haben im Vorfeld viel im Führungskreis miteinander sprechen müssen. Das sind bei uns die Vorstände, die Fach- und Bereichsleitungen sowie die Stabsstellen. Erklären, aushandeln, überzeugen, gemeinsame Sprache finden. Wir bewegen uns grundsätzlich in einem hierarchischen System und Verantwortung ist hieran auch grundsätzlich gekoppelt. Es bedarf also einer großen Portion Sicherheit, sich auf einen solchen Prozess des Wandels einzulassen.
Sie feiern in der Projektumsetzung in beiden "rückenwind+"-Projekten gerade "Halbzeit". Was haben Sie bisher geschafft?
Kobialka: Es bewegt sich - trotz "Corona" - sehr viel! Viele Veranstaltungen und Teammeetings finden digital statt - das ist schon ein großer Schritt für viele Mitarbeitende und Einrichtungen. Wir beobachten auch, dass durch das "rückenwind+"-Projekt Zeiträume geschaffen werden, in denen sich die Teams mit ihrer eigenen Rolle und ihrem Auftrag auseinandersetzen können. Durch die externe Begleitung im Team werden die Knackpunkte angesprochen und bearbeitet. Es baut sich Vertrauen auf und die Vernetzung unter den einzelnen Teams nimmt zu. Wir merken, wie die Mitarbeitenden der Einrichtungen Spaß und hohe Motivation haben, daran ernsthaft zu arbeiten und auf allen Ebenen transparente und offene Organisationsentwicklungsprozesse angestoßen werden.
Kellermann: Auch bei uns im Sauerland sind die Piloten trotz "Corona" richtig gut in Fahrt gekommen. Hier entstehen tolle Dinge - kulturell wie ganz "handfest". Und die Identifikation mit dem ganzen Vorhaben ist in den Teams echt hoch. Was dabei enorm wichtig war, ist eine "saubere" Auftragsklärung am Anfang - und das nicht nur mit den Führungskräften, sondern mit dem ganzen Team. Im Prozess selber ist eine Einbeziehung aller relevanten Führungskräfte von hoher Bedeutung. Und dann ist da noch das Thema Meta-Reflexion im Team - das ist sicher ein ganz wesentlicher Erfolgsfaktor und gleichsam die größte Lern-Herausforderung für alle.
Breuer: Mich freut es, dass wir im letzten Jahr, natürlich angetrieben durch "Corona", mit digitalen und hybriden Formaten experimentiert haben. Ich erinnere mich gerne an die Großgruppenveranstaltung mit rund 60 Führungskräften, die wir gleichzeitig an vier verschiedenen Orten und "Zoom-vernetzt" durchgeführt haben. Zudem haben wir tatsächlich achtzehn Kulturbotschafter*innen in einem demokratischen Wahlverfahren gewinnen können. Die Initiierung und Form des Wahlprozesses war ebenfalls ein Experiment und hat die Wirksamkeit partizipativer Entscheidungsprozesse bestätigt. Also ganz wichtig: Die Lust am Experimentieren immer wieder anregen.
Als die Corona-Pandemie begonnen hat, liefen Ihre Projekte gerade ein dreiviertel Jahr. Unter den verschiedenen Corona-bedingten Einschränkungen und Hygienevorschriften mussten vielerorts auch tradierte Teamstrukturen und Organisationsprozesse neu gedacht werden. Hat die Pandemie Ihnen beim "Experiment Selbstorganisation" geholfen?
Kellermann: Ich glaube insgesamt ja. Wobei es sehr schwer einzuschätzen ist, wie sich die Situation im gesamten Verband darstellt. An einigen Stellen im Verband hat die Bewältigung der aktuellen Pandemie-Situation zu einer Abnahme der Teamkommunikation geführt. Interessant ist: Unsere Beobachtung in den acht Piloten war eine andere. Hier hatte das Bedürfnis nach Kontakt und Austausch weiter eine hohe Priorität, und es wurde im Team kreativ nach Umsetzungsmöglichkeiten gesucht.
Breuer: Die Pandemie hatte und hat ja immense Auswirkungen nicht nur auf die berufliche Situation. Auch das private Umfeld der Mitarbeiter*innen und die eigene emotionale Verfassung sind stark gefordert. Wir haben Teams und Führungskräfte erlebt, für die ein ganzheitlicher Blick auf die Mitarbeiter*innen bzw. Kolleg*innen "normal" ist. Das führte dort zu insgesamt mehr Stabilität und Sicherheit - individuell wie im ganzen Team.
Die Pandemie hat das Prinzip der Selbstorganisation also bestätigt?
Kobialka: Wir haben zwei spannende Entwicklungen in den Projektstandorten beobachtet: Zum einen war in den Einrichtungen ein hohes Maß an Selbstorganisation gefordert, da insbesondere im Frühjahr 2020 viel improvisiert werden musste. Und gleichzeitig haben die Führungskräfte gespürt, dass es konkrete Ansagen geben muss. Es gab daher bei einigen Führungskräften eine klare Tendenz, die Hierarchie in dieser Phase zu stärken. Ein weiterer spannender Aspekt, den die Corona-Pandemie für uns alle gebracht hat: Wir führen viele Veranstaltungen als Videokonferenzen durch, auch das Coaching der Führungskräfte oder Entwicklungsworkshops mit Teams. Wir sind sehr überrascht, dass das so gut funktioniert und auch viele Chancen bietet.
Sie setzen nicht nur jeweils ein eigenes Förderprojekt im eigenen Caritasverband zum Thema "Selbstorganisation" um, sondern haben darüber hinaus im Rahmen einer engen Kooperation die gemeinsame Website www.selbstorganisiert-motiviert.de aufgebaut.
Warum?
Breuer: Wir, das heißt, die Menschen hinter den beiden Projekten, haben uns bereits im ersten "rückenwind+"-Projekt in den zahlreichen Vernetzungsformaten kennengelernt. Schnell war klar, dass uns ganz persönlich ähnliche Dinge umtreiben, wenn wir auf das Thema Führung und Zusammenarbeit schauen. Uns verbindet ein gemeinsames "Wofür". Das ist sehr wichtig, wenn ein gemeinsames Vorhaben wie hier eine Website in die Welt gebracht werden soll.
Kellermann: Interessant war dabei vor allem die unterschiedliche Herangehensweise der beiden Projekte. In Freiburg liegt der Fokus in der "Fläche" und bei uns in Arnsberg in der "Tiefenbohrung". So werden wir unterschiedliche Erkenntnisse gewinnen, die auch für andere Caritas-Träger und darüber hinaus interessant sein könnten. Das ist unsere Vision: Wir wollen unsere Ideen und Erkenntnisse transparent machen und den Dialog darüber entfachen. Und vielleicht entsteht daraus ein tragfähiges Netzwerk - nicht nur auf der "Nord-Süd-Achse".
Eine Vision, die die gemeinsame Website mit einem Blog und einer Sammlung vielfältiger methodischer Ansätze unterstützt...
Kobialka: Stimmt. Nachdem wir im letzten "rückenwind+"-Projekt "Unternehmens- und Führungskultur! Entwickeln. Stärken. Erleben." ein Buch veröffentlicht haben, wollten wir dieses Mal mehr in die Interaktion gehen. Und da das Thema "Selbstorganisation" im Vordergrund steht, nicht aber das einzelne Projekt, hat es sich angeboten, die Plattform gemeinsam mit Arnsberg-Sundern zu entwickeln. Wir wollen Transparenz zeigen, was gut läuft, aber auch, wo wir scheitern oder an Grenzen stoßen. Schön wäre es, wenn wir tatsächlich in einen lebendigen Dialog eintreten könnten, mit allen, die Lust haben, sich mit dem Thema Selbstorganisation auseinander zu setzen.
Was wünschen Sie sich darüber hinaus für eine moderne, "selbstorganisierte" Arbeitswelt der Zukunft?
Kobialka: Hierarchie wird es immer geben, aber ich hoffe, in einer anderen Form als heute. Nicht als Machtinstrument, sondern als Rahmengebung. Ich wünsche mir, dass wir mehr auf Augenhöhe arbeiten, die Kompetenzen der Einzelnen stärker in den Vordergrund stellen und das gemeinsame Ziel im Auge behalten. Dafür brauchen wir eine Kultur, in der wir Fehler als Chance sehen, uns zu verbessern und mehr Mut, Entscheidungen zu treffen, die auch wehtun können. Mich fasziniert auch die Idee, in den Teams allen das gleiche Gehalt zu bezahlen, denn das Team kann nur als Ganzes gut funktionieren und jeder trägt nach seinen Kompetenzen dazu bei, dass alles rund läuft.
Breuer: Mir ist es ein besonderes Anliegen, dass der Fokus immer wieder auf das gemeinsame "Wofür", das "rote Feuer" gerichtet wird. Wo streben wir hin? Was verbindet uns? Erst so entsteht Energie, aber auch Sicherheit im Tun.
Kellermann: Ich wünsche mir vor allem, dass sich die Fähigkeit des "feinen Prozessierens" in der Arbeitswelt verankert. Und das ist in erster Linie kein rein methodischer Zugang. Hierzu braucht es eine achtsame Haltung. Eine Haltung, die auf Co-Kreativität setzt, den Wert und das Potenzial jedes einzelnen als Schatz begreift und in der das eigene Ego hintenangestellt wird. Das bedingt die Fähigkeit zur Selbststeuerung im Denken, Fühlen und Handeln. So könnte sich Selbstorganisation als kulturelle Idee wirklich entfalten.
Das ESF-Programm "rückenwind+ - Für die Beschäftigten und Unternehmen in der Sozialwirtschaft"
Das ESF-Programm "rückenwind+ - Für die Beschäftigten und Unternehmen in der Sozialwirtschaft" (kurz: "rückenwind+") ist ein im Jahr 2015 gestartetes Förderprogramm zur Fachkräftesicherung in sozialen Berufsfeldern. Ansatzpunkt ist die Personal- und Organisationsentwicklung in Unternehmen und Verbänden der gemeinnützigen Sozialwirtschaft. Ziel der Förderung ist die Verbesserung der Anpassungs- und Beschäftigungsfähigkeit der Beschäftigten in der Sozialwirtschaft in Verbindung mit einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Organisationsstrukturen in den Einrichtungen, Diensten und Verbänden.
Das Förderprogramm wurde gemeinsam vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der BAGFW entwickelt. Gefördert wird es aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und aus Bundesmitteln. Bis 2019 wurden knapp 18.700 Beschäftigte und 800 Unternehmen beraten.
Weitere Informationen zum Programm "rückenwind+" finden Sie auf dem ESF-Webportal, auf der Programmwebsite und dem Twitter-Profil @bagfw_esf
Kontakt: regiestelle@bag-wohlfahrt.de