Leipziger Allerlei?
Strukturdatenanalyse zur Situation Soloselbstständiger in Leipzig

Datum
04.08.2022

Eine neue Analyse der ArbeitGestalten Beratungsgesellschaft mbH im Auftrag des ESF-geförderten "Hauses der Selbstständigen (HDS)" eröffnet interessante Einblicke in die Arbeits- und Lebensbedingungen der derzeit rund 30.000 Soloselbstständigen in Leipzig. Trotz der schwierigen Datenlage zeigen die Ergebnisse die Vielfalt von Selbstständigkeit, aber auch die immer noch bestehenden Unklarheiten im Zusammenhang mit dieser Erwerbsform.

Die erste Feststellung, die Cosima Langer von ArbeitGestalten zu Beginn ihrer Untersuchungen machte, war: Die Datenlage zu soloselbstständiger Arbeit ist mager und diffus. Dennoch war die dynamische ökonomische Entwicklung von Leipzig und der Region besonders gut geeignet für die Analyse von Strukturdaten der Soloselbstständigkeit, bei der die Verbreitung und Branchenverteilung im Mittelpunkt standen. Für die Studie wurden neben der Auswertung von Daten des Mikrozensus, dem Statistikservice der Bundesanstalt für Arbeit und dem Leipziger Gewerbeamt Hintergrundgespräche mit dem Jobcenter Leipzig, der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sowie der Beratungsstelle für ausländische Beschäftigte in Sachsen (BABS) geführt.

Zuverlässige Daten fehlen
Im ersten Teil der Studie wurden die verfügbaren statistischen Grunddaten zu Soloselbstständigen aus dem Mikrozensus und der Gewerbeanzeigenstatistik untersucht. Im zweiten Teil ging es um die Ausprägung von Prekarität. Leider gibt es keine zuverlässige statistische Erfassung, denn eine rechtliche Definition von Soloselbstständigkeit fehlt: So werden u.a. Selbstständige ohne Beschäftigte nicht explizit erfasst, sondern ihre Anzahl ist nur indirekt greifbar. Hinzu kommt, dass die Zahlen stark voneinander abweichen.
"Im Unternehmensregister sind 11.600 Unternehmen ohne Beschäftigte gelistet, das Finanzamt meldet 31.344 Selbstständige ohne Beschäftigte, der Mikrozensus kommt auf 28.100. Wie viele von ihnen sich in einer prekären Erwerbssituation befinden, kann statistisch nicht klar benannt werden, da die entsprechenden Kriterien teils nicht überprüfbar sind", merkt Langer an. Fest stehen aber die Zahlen derjenigen, die aktuell die Unterstützung des Sozialstaats bekommen: Etwas über 1.800 Personen in Leipzig sind 2019 selbstständig erwerbstätig und zusätzlich leistungsberechtigt, also von Erwerbsarmut betroffen.

Immer mehr Soloselbstständige in Leipzig
Auch der Mikrozensus als einzige repräsentative Haushaltsbefragung liefert nur wenige aussagefähige Daten. Für Leipzig zeigt die Statistik, dass die Zahl der Soloselbstständigen im letzten Jahrzehnt deutlich angestiegen ist. Waren es 2010 noch rund 20.000 im Haupt- und 2.500 im Nebenerwerb, waren es 2019 schon 24.000 hauptberuflich und 4.100 nebenberuflich tätige Soloselbstständige. "Der Zuwachs ist vor allem durch weibliche hauptberufliche Soloselbstständige zustande gekommen", weiß Langer. Die Frauenquote habe sich von 32 Prozent (2010) auf 44 Prozent (2019) erhöht. In der nebenberuflichen Soloselbstständigkeit ist der Frauenanteil in dem Zeitraum von 44 Prozent auf 48 Prozent angewachsen.
Mehr als zwei Drittel (70 Prozent) der Leipziger Selbstständigen beschäftigen nach den Daten des Mikrozensus keine Mitarbeiter*innen. Damit liegt Leipzig nur knapp unter dem Wert für Berlin und deutlich über dem Durchschnittswert für die Bundesrepublik insgesamt (56 Prozent aller Selbstständigen). Über die Hälfte der befragten Leipziger Soloselbstständigen verfügt über Fach-/Hochschulreife oder Hochschulabschluss, ihr Anteil stieg von 2010 bis 2019 stetig. Im Jahr 2019 gaben fast 75 Prozent an, die Fach- oder Hochschulreife erreicht zu haben.

Große Einkommensunterschiede
Dass man mit den meisten soloselbstständigen Tätigkeiten nicht reich werden kann, ist eine Binsenweisheit. Die Statistik belegt das auch für Leipzig: 2010 lebten 11.900 der Soloselbstständigen von einem durchschnittlichen monatlichen Haushaltseinkommen (netto) unter 2.000 Euro, 8.600 lagen zwischen 2.000 und maximal 4.000 Euro. 2010 mussten noch 52 Prozent der Leipziger Soloselbstständigen von weniger als 2.000 Euro Haushaltsnettoeinkommen leben, 2019 sind es nur noch 29 Prozent. Zu beachten ist dabei aber, dass das monatliche Haushaltseinkommen nicht das tatsächliche Einkommen einzelner Soloselbstständiger ist, denn die Einkommen der Familienangehörigen werden zusammengezählt.
Die Corona-Krise zeigt allerdings deutliche negative Auswirkungen, wie die Zahlen des Jobcenters Leipzig zeigen: Zwischen 2008 und 2019 war die Zahl der ursprünglich selbstständigen Leistungsempfänger*innen kontinuierlich gesunken, Anfang 2021 hatten sich die Zahlen aber durch die Coronapandemie wieder mehr als verdoppelt (auf ca. 3.600).

"Leipziger Allerlei" der Tätigkeiten
Wie unzureichend die statistische Lage ist, zeigt auch der Fakt, dass rund ein Drittel aller Soloselbstständigen in Leipzig der Sparte "sonstige Dienstleistungen" zugeordnet ist. Was man weiß, ist nur: Land- und Forstwirtschaft, produzierendes Gewerbe, Handel, Gastgewerbe und Verkehr, Information und Kommunikation fallen nicht unter diese Sparte.
Das Gewerbeamt Leipzig erfasst nur Gewerbetreibende ohne Beschäftigte, gelistet nach Geschlecht und Beruf. Aber der Status der gewerblichen Soloselbstständigkeit muss kein dauerhafter sein, da theoretisch ja jederzeit Beschäftigte eingestellt werden könnten. Auf jeden Fall meldeten in den vergangenen zehn Jahren deutlich mehr Einzelpersonen ihr Gewerbe ab, als Neuanmeldungen zu verzeichnen waren. Das lässt darauf schließen, dass in Leipzig mehr Freiberufler*innen (ohne Gewerbe) arbeiten.

Leipzig als Standort für Kultur-, Kreativ- und Digitalwirtschaft eigne sich sehr gut, um die kollektive Interessenvertretung von Soloselbstständigen aktiv mitzugestalten und zu unterstützen, so das Fazit der Autorin der Analyse. "Dabei dürfen jedoch diejenigen, die jenseits der hochqualifizierten Branchen soloselbstständig einfache Dienstleistungen erbringen, nicht aus dem Blickfeld fallen", mahnt Langer. Generell müssten die Arbeitsbedingungen von Soloselbstständigen verbessert und deren soziale Absicherung garantiert werden. Scheinselbstständigkeit, vor allem in der sogenannten Crowdwork, müsse ein Riegel vorgeschoben werden.

Die Publikation der Analyse steht über die Webseite des HDS zum Download bereit. Für ein gedrucktes Exemplar senden Sie bitte eine E-Mail.

Das ESF-Programm "Zukunftszentren - Unterstützung von KMU, Beschäftigten und Selbständigen bei der Entwicklung und Umsetzung innovativer Gestaltungsansätze zur Bewältigung der digitalen Transformation" (kurz: "Zukunftszentren")

Das "Haus der Selbständigen (HDS)" wird im Rahmen des Programms "Zukunftszentren" durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfonds gefördert.

Die rapide voranschreitende Digitalisierung und der zunehmend spürbare demografische Wandel verändern unsere Arbeitswelt gravierend. Dies bietet gerade für kleine und mittlere Unternehmen neue Chancen und Wachstumsaussichten. Gleichzeitig besteht ein enormer Anpassungsdruck. In besonderem Maße und schon deutlich früher sind die ostdeutschen Bundesländer mit den Herausforderungen des demografischen und digitalen Wandels konfrontiert. Hier stellt sich die Frage: Wie können Unternehmen und Beschäftigte sowie Selbstständige dabei unterstützt werden, diese Wandlungsprozesse zu meistern? Genau an dieser Stelle kommen die "Zukunftszentren" ins Spiel.

Die "Zukunftszentren" verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz: sie richten sich sowohl an Unternehmen und ihre Beschäftigten als auch an Selbstständige, insbesondere Solo-Selbstständige. In jedem ostdeutschen Bundesland ist ein "Regionales Zukunftszentrum" ("RZ") entstanden, um die unterschiedlichen Bedarfe der Regionen und Branchen differenziert in den Blick zu nehmen. Das übergeordnete "Zentrum digitale Arbeit", das federführend von Arbeit und Leben Sachsen e.V. betrieben wird, bündelt das Wissen und sorgt für einen bundesweiten Austausch.

Qualifizierung im Betrieb neu denken und erproben
Mit dem Programm "Zukunftszentren" unterstützt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die ostdeutschen Bundesländer gezielt dabei, die großen Veränderungsprozesse, die sich beispielsweise aus der Entwicklung Künstlicher Intelligenz ergeben, zu bewältigen und vor allem sozial zu gestalten. Qualifizierung im Betrieb soll neu gedacht und erprobt werden - immer mit dem Ziel, die Selbstlern- und Gestaltungskompetenz zu fördern. Mit innovativen Konzepten zur Weiterbildung im Betrieb sollen beispielsweise digitale Kompetenzen in Unternehmen gefördert werden. Denn Digitalisierung verändert die Tätigkeiten und Anforderungen in allen Berufen.

Weitere Informationen zum Programm finden Sie auf dem ESF-Webportal.

Auszug aus dem ESF-Newsletter