Datenbasierte Vernetzung und neue Kooperationswege in Produktionsanlagen
- Datum
- 22.06.2023
Im ESF Plus-geförderten Forschungsprojekt "NedZ" wird ein unternehmensübergreifendes, datenbasiertes Kooperationsnetzwerk prototypisch aufgebaut. Im Mittelpunkt des Netzwerks steht der sogenannte digitale Zwilling einer Produktionsanlage, den die beteiligten Partner gemeinsam nutzen und pflegen und der alle freigegebenen Informationen zur Anlage bereitstellt. Langfristiges Ziel ist es, Unternehmen mit einer fortschrittlichen, kooperativen Arbeitsweise zu befähigen, ihre Arbeitsorganisation zu verbessern, gemeinsame Instandhaltungsmaßnahmen zu optimieren oder neue datenbasierte Dienstleistungen anzubieten.
Veränderungen wie die Digitalisierung und die Globalisierung sowie gesellschaftliche Entwicklungen wie der demografische Wandel führen zu einem tiefgreifenden Umbruch der Arbeitswelt. Produktionssysteme werden technisch immer komplexer, da immer höhere Anforderungen an die Effizienz und Flexibilität der Produktionsanlagen gestellt werden. Mit dem Wandel zur Industrie 4.0 werden Produktion und modernste Informations- und Kommunikationstechnologien miteinander verzahnt. Der Digitalisierungsgrad der industriellen Fertigung und der Wertschöpfungsketten steigt. Um die Produktivität einer Anlage zu gewährleisten, müssen neben dem Anlagenbetreiber auch Instandhalter*innen, Anlagenbauer*innen und Lieferant*innen von Komponenten sowie Teilanlagen Hand in Hand arbeiten. Deren Mitarbeiter*innen haben jeweils spezifisches Expert*innenwissen, das bislang nicht aufbereitet wird. Hier soll ein digitales Unterstützungssystem den Mitarbeiter*innen aller beteiligten Unternehmen eine gemeinsame Sicht auf die Anlage erlauben.

Das Ziel des "NedZ"-Projekts ist es also, unternehmensübergreifende, datenbasierte Kooperationsnetzwerke auf Grundlage des digitalen Zwillings von Produktionsanlagen ganzheitlich zu gestalten: Neben der Erschließung neuer Wertschöpfungspotenziale werden auch soziale Innovationspotenziale digitaler Technologien für beanspruchungsoptimale Arbeitsgestaltung und -organisation erschlossen. Zudem werden Prinzipien und Handlungsempfehlungen für datenbasierte Kooperationsnetzwerke im Produktionsumfeld in einem Leitfaden definiert. In Ergänzung werden aufbereitete Fallbeispiele für die Netzwerkgestaltung zur Reduktion von Technikstress und für die Gewährleistung einer effizienten Kommunikation im Sinne des digitalen Wandels der Arbeitswelt erstellt.
Die Zielstellungen des Projekts basieren auf der Grundannahme, dass die digitale Transformation Veränderungen der Unternehmenskultur hinsichtlich der Kooperationsnetzwerke ermöglicht, aber auch erfordert. Als transformative Technologie bedingt der digitale Zwilling eine technologieinduzierte Veränderung der Arbeit, erzwingt aber keine konkrete Arbeitsform. Als Vermittler zwischen Technologie und Organisation fungiert die Arbeitsgestaltung, welche neue Formen der unternehmensübergreifenden Arbeit und Vernetzung im Kontext der Digitalisierung hervorbringt. Dadurch können auch soziale Verbesserungen bewirkt werden. Folglich ist der Kern des Vorgehens in diesem Projekt die Identifikation und menschzentrierte Gestaltung von Anwendungsszenarien in der kooperativen Arbeit. Die Ergebnisse fließen in die Umsetzung der Kooperationsstrukturen und deren technologische Unterstützung ein.

Datenbasierte Vernetzung und unternehmensübergreifende Kooperation
Das "NedZ"-Projekt setzt auf einen soziotechnischen, anwendungsorientierten Forschungsansatz. Die Anwendungspartner bilden ein beispielhaftes Wertschöpfungssystem rund um eine Produktionsanlage für die Herstellung von Wasserfiltern, die verschiedene Rollenmaterialien zu einem zylindrischen Wasserfilter verarbeitet. Gemeinsam mit den Forschungspartnern aus Arbeitswissenschaft und digitalem Engineering analysieren die Unternehmen die aktuellen Wertschöpfungsprozesse rund um die Anlage. Die untersuchten Prozesse beinhalten sowohl die Anlagenentstehung als auch den Anlagenbetrieb. Entsprechend wurde das Projektkonsortium gestaltet.
Forschungspartner im Projekt sind:
- das Fraunhofer IFF: Expertise aus dem Bereich Engineering-Methoden, Technologie-, Produktentwicklung und IT-Know-How,
- die BTU Cottbus-Senftenberg: Einbringen des arbeitswissenschaftlichen Knowhows sowie der Generalisierung der Erkenntnisse als iterativen Ableitungsprozess,
- die METOP GmbH bringt die Themen digitale Geschäftsmodelle sowie Datensouveränität in die Gestaltung des NedZ- Kooperationsnetzwerks ein.
Den Forschungspartnern wurden Anwendungspartner gegenübergestellt, die den gesamten Bereich von Anlagenentstehung bis zum Anlagenbetrieb adressieren:
- SMC Calvörde entwickelt und fertigt kundenindividuelle Maschinen und Anlagen und übernimmt die Rolle des Sondermaschinenbauers auch im "NedZ"-Konsortium. Das beinhaltet neben der Anlagenherstellung aber auch Leistungen im Service der Anlagen im Betrieb.
- Die KlesyMa GmbH als Expertin für Klebeanlagen agiert als Teilanlagenhersteller im Kooperationsnetzwerk der Anwendungspartner des "NedZ"-Projekts. Neben der Komponentenfertigung ist die Klesyma GmbH auch für den Service seiner Komponenten im Anlagenbetrieb zuständig.
- Der Komponentenhersteller Rusche Zubringetechnik agiert im "NedZ"-Projekt durch seinen umfangreichen Erfahrungsschatz als Auftragsfertiger für Komponenten und einzelne Baugruppen.
- Die SIS GmbH als Experte für Instandhaltungsdienstleistungen nimmt diese Rolle auch im Kooperationsnetzwerk des "NedZ"-Projekts ein.
Aufbauend auf der Analyse der Wertschöpfungsprozesse identifizieren die Partner wesentliche Anforderungen, Anreize und Hemmnisse für eine datenbasierte Kooperation im Netzwerk. Diese beinhalten digitale Dokumente und Strukturinformationen zur Anlage sowie Prozessdaten aus dem Anlagenbetrieb entlang des Lebenszyklus der Anlage. Ebenso werden Änderungen an der Anlage und in den Prozessen im digitalen Abbild dokumentiert. Kern ist hierbei die Vernetzung der unterschiedlichen Datenquellen und deren Bezug zur Struktur der Anlage. Dadurch können vom/ von der Nutzer*in benötigte Informationen gezielt und kontextbezogen zusammengestellt werden.
Anschließend werden konkrete Anwendungsfälle ermittelt, bei denen sich die direkte Zusammenarbeit der Unternehmen durch die technologischen Möglichkeiten ändert. Beispielhaft sei hier ein Änderungsprozess in der Anlagenentwicklung genannt, bei dem eine durch den Entwickler geänderte Anlagenkomponente in die Gesamtanlage eingefügt und über die Anlagenherstellung bis zur Inbetriebnahme betrachtet wird. Hierbei arbeiten der Anlagenentwickler mit dem Lieferanten der Komponente sowie mit dem Teilefertiger kooperativ zusammen. Als Kern des Projekts setzen die Partner die Anwendungsfälle praktisch um und gestalten die neuartigen, datenbasierten Arbeitsprozesse nach den Kriterien guter Arbeit. Hierbei werden die dafür notwendigen Kooperationsprozesse identifiziert, modellhaft beschrieben und deren Auswirkungen auf die bei den Anwendungspartnern laufenden Prozesse betrachtet. Daraus werden die Anforderungen an eine datenbasierte Kooperation abgeleitet.
Daraufhin werden die benötigten IT-Methoden entwickelt und prototypisch eine Kooperationsplattform zur gemeinsamen Verwendung des digitalen Zwillings aufgebaut. Der Ansatz erlaubt eine sichere und effiziente Datennutzung sowie den Austausch der Informationen im Netzwerk. Parallel erfolgt die Adaption von Methoden der Arbeitssystemgestaltung an die spezifischen Anforderungen datenbasierter Netzwerke.
Abschließend werden die praktisch gewonnenen Erkenntnisse als Handlungsempfehlungen aufbereitet. Als Adressat des Leitfadens ist die Leitungsebene von KMU geplant, welche, wie die Partnerunternehmen, Dienstleistungen und Produkte rund um den Anlagenbetrieb anbieten und Interesse an datenbasierter Zusammenarbeit im Unternehmensnetzwerk haben. Die Inhalte umfassen die eingesetzten arbeitswissenschaftlichen Methoden, die Gestaltungsempfehlungen für datenbasierte Netzwerkstrukturen, die unterlegt werden mit Fallbeispielen aus dem NedZ-Projekt, und die wesentlichen technologischen Prinzipien für die kooperative Nutzung digitaler Zwillinge. Zudem soll für die Datenlieferanten in datenbasierte Netzwerkstrukturen der souveräne Umgang (Konsistenz, Rechteverwaltung, Vertrauenswürdigkeit, Sicherheit, regulatorische Maßnahmen) mit digitalen Daten der Anlage ermöglicht werden.
Fallbeispiel im Anlagenbetrieb - Kooperationsbedarf bei einem Servicefall
Ein weiteres Fallbeispiel beschreibt die Kooperationsvorgänge im digitalen Zwilling, welche die Prozesse eines grundlegenden Servicefalls im Anlagenbetrieb realitätsnah abbilden sollen. Die Produktionsanlage befindet sich nicht mehr in der Gewährleistungsfrist des Herstellers. Somit ist dieser auch nicht Teil des Szenarios. Die Wartung sowie Instandhaltung der gesamten Produktionsanlage obliegt vertragsgemäß einer externen Instandhaltung. Bei der Teilanlage Klebestation wird die Wartung als auch Instandhaltung vom Teilanlagenlieferanten durchgeführt. Folglich sind der Betreiber (Bediener*in und interne Instandhaltung), der externe Servicedienstleister und der Teilanlagenlieferant die Akteure dieses Szenarios.
Beispielhaft wird angenommen, dass ein nicht optimales Klebeergebnis im Produktionsprozess zu einem Fehlerereignis führt. Die Fehlerursache kann sowohl in der Klebestation als auch im Verhalten der gesamten Anlage (z.B. falsche Parametereinstellungen) begründet liegen, da der Klebeprozess während der Bewegung stattfindet. Das Szenario beginnt beim Erkennen und dem Dokumentieren der Fehlsituationen inkl. der vorgenommenen Bedienhandlungen und dem Bezug zu den betroffenen Anlagenteilen durch den Bediener. Das Fehlerereignis kann in der Schicht vom/ von der Bediener*in nicht behoben werden und wird mittels eines Logbucheintrages an die interne Instandhaltung kommuniziert. An dieser Stelle entscheidet die interne Instandhaltung, wer Adressat*in zu diesem Problemfall wird, erstellt einen adäquaten Logbucheintrag und bindet folgend die entsprechenden externen Akteur*innen digital ein. Dies geschieht mit dem Ziel, die Produktivität der Anlage mit optimalem Klebeergebnis (inklusive Dokumentation der dazu unternommenen Handlungen) unter minimaler Anlagenausfallzeit wiederherzustellen. An derartigen Fallbeispielen wurden unternehmensübergreifende Kooperationsszenarien entwickelt, mittels einer prototypischen Kooperationsplattform umgesetzt und mit den Projektpartnern validiert.
Erkenntnisse aus der Projektarbeit
Die Gestaltung eines unternehmensübergreifenden Kooperationsnetzwerkes mit einem digitalen Zwilling ist ein komplexes Vorhaben, das die Fragen nach zukünftigen digitalen Kommunikations- und Kooperationsformen adressiert. Dabei sind viele unterschiedliche Aspekte zu berücksichtigen: Spezifische Kooperationsgestaltung, Datensouveränität, eine prototypische technische Umsetzung des digitalen Zwillings u.v.m. Dies erfolgte im Projekt "NedZ" stets unter Berücksichtigung einer menschzentrierten Arbeitssystemgestaltung und der Verwendung aktueller arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse. Die innerhalb des erfolgreichen Projektes erarbeiteten Ergebnisse wurden in einem Handlungsleitfaden dargestellt und können zur praxisnahen Unterstützung bei der Einführung solcher Kooperationsnetzwerke mittels digitalen Zwillings beitragen. Spezifische Besonderheiten in der Ausprägung einer Kooperation ergeben sich aus den unterschiedlichen Zusammensetzungen der kooperierenden Akteure und ihren jeweiligen geschäftlichen, aber auch persönlichen Beziehungen untereinander. Hierbei sind ein gemeinsames Nutzungsziel, adäquate Sachkenntnis und Gutwilligkeit hilfreich. Trotzdem müssen die Fragen den jeweils spezifischen digitalen Zwilling betreffend nach Datenschutz, -sicherheit und -souveränität sowie deren Verfügungsberechtigungen und Verantwortlichkeiten im Vorfeld verbindlich, objektiv und affektfrei abgeklärt werden. Das kann ein grundsätzliches Vertrauen der Kooperationspartner untereinander und gegenüber der Plattform unterstützen, insbesondere da für die technischen Umsetzungen oftmals noch hinreichende Standards fehlen.
Weitere Informationen zum Projekt "NedZ" finden Sie hier.
Das Programm "Zukunft der Arbeit"
Das Forschungsprojekt "NedZ" wird im Rahmen des Programms "Zukunft der Arbeit" vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Europäischen Union über den Europäischen Sozialfonds gefördert. Das Programm greift die Herausforderungen auf, die für Unternehmen (insbesondere KMU) und Menschen durch Strukturwandel, Technisierung und zunehmende Globalisierung in der Arbeitswelt entstehen, und lädt Unternehmen und Forschungseinrichtungen ein, mit innovativen Forschungsprojekten aktiv die Zukunft unserer Arbeitswelt mitzugestalten. Ziel des Programms ist es, technologische und soziale Innovationen gleichermaßen voranzubringen. Dazu sollen neue Modelle der Qualifizierung, der Gesundheitsprävention, der Arbeitsgestaltung und -organisation in und mit Unternehmen entwickelt und als Pilotprojekte in die betriebliche Praxis überführt werden. Dabei liegt der Fokus besonders auf branchenübergreifenden und interdisziplinären Projekten.
Weiterführende Informationen zum Programm "Zukunft der Arbeit" finden Sie auf dem ESF-Webportal sowie auf der Programmwebsite des BMBF.